Hallo,
ich finde einige Vorfälle, Praktiken, Verhaltensweisen etc., auf die ja auch hier
im Forum immer mal wieder hingewiesen werden, diskussionswürdig,
aber keinesfalls so eindeutig, wie sie manchmal dargestellt werden -- eben diskussionswürdig.
Klar, es ist viel einfacher, anderen etwas unbewiesen zu unterstellen (z.B. Motive),
ein Bundesland, eine Berufsgruppe, eine Institution, Gesetze oder was auch immer pauschal zu verdammen,
Vorfälle zur allgemeinen Praxis hochzustilisieren und apodiktisch Handlungsgrundsätze aufzustellen,
gegen die keiner etwas haben kann, weil alles andere als ethisch verwerflich gilt
(Wer kann schon gegen Tierschutz sein?);
all das ist viel einfacher, als sich mühsam mit Details auseinanderzusetzen,
Motive, Ziele, einzelne Auswirkungen, Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen,
die eigene Argumentation darauf zu überprüfen, ob Schlussfolgerungen korrekt sind,
gegebenenfalls auch mal eigene Argumente oder Sichtweisen zu verwerfen und
vielleicht auch mal zähneknirschend zu akzeptieren, dass man nicht alles haben kann,
weil unterschiedliche Ziele miteinander konkurrieren und Menschen unterschiedliche Ziele
unterschiedlich bewerten.
Wenn ich so etwas lese wie „Betreten die Wölfe und Luchse Bayern so werden die gnadenlos geschossen.“,
dann kann ich mir zwar gut vorstellen, dass derjenige emotional stark engagiert ist, es wäre aber niemand,
dem ich eine ausgewogene Entscheidung zutrauen würde oder dem ich gar ein Mandat anvertrauen würde,
wenn ich selber keine Ahnung habe. Und keine Ahnung, davon habe ich jede Menge und dass auf den
allermeisten Gebieten. Wenn ich mich also wegen meiner fehlenden Kenntnisse entscheiden muss,
welcher Seite ich vertrauen möchte – dem wissenschaftlichen Bereich mit seinen Institutionen
(Universitäten, Forschungseinrichtungen, Kongresse, Publikationen in Büchern und Zeitschriften (zum Teil
mit Reviews) etc.) oder einer einzelnen Person, einer Gruppe, einer Bewegung oder was auch immer, die mit
plakativen Vereinfachungen argumentiert –, dann fällt meine Entscheidung nicht unbedingt zugunsten der
emotional engagierteren Partei.
O.k., „vertrauen“ ist im obigen Absatz vielleicht nicht ganz das, was ich meine. Kritisch hinterfragen lassen
und sich immer wieder Fragen stellen muss sich auch die Wissenschaft. ABER: (1) Erstens ist "kritisch
hinterfragen" etwas grundsätzlich anderes als effekthascherisch irgendwelche Behauptungen aufzustellen und
Schlussfolgerungen anzustellen, die einer eingehenderen Überprüfung nicht standhalten. (2) Und zweitens habe
ich im Hinterkopf, dass die Erfolge der Medizin und Ingenieurskunst und sowieso überhaupt nahezu alles, womit
wir uns täglich umgeben, auf wissenschaftlichen Prinzipien und dem Drang nach Wissen beruhen.
Apropos Wissensdurst. Ich bin ja der Meinung, dass Wissen um des Wissens willen, also die Suche nach
Erkenntnis auch ohne augenscheinlichen praktischen Nutzen ein sehr hoher Stellenwert zukommen soll.
Vieles, was früher belächelt wurde, ist heute als kleiner Baustein Grundlage unseres Lebens. Ah, ja, ethische
Grenzen. Das Aufschneiden von Leichen galt früher übrigens als Frevel. Ich frage mich, wie das Leben und
meine Gesundheit aussähen, wenn das so geblieben wäre… Wir können heute nicht ahnen, welches Wissen für
uns morgen (überlebens-)wichtig wird.
Viele Grüße
Gunnar